Jessup
und das Völkerrecht von Morgen
(Dieser kleine Bericht zur Teilnahme am Jessup Mootcourt 2012/2013 von mir ist in den Hamburger Rechtsnotizen (HRN) 02/2013, S. VI. erschienen)
Was
passiert eigentlich wenn ein Inselstaat untergeht? Wie sieht es mit
umstrittenen Entwicklungshilfe Krediten und Haftungsansprüchen im Klimawandel
aus und kann er als „Verfolgung“ einen Flüchtlingsstatus begründen? Alles
Fragen die im stumpfen Definition-Subsumtion-Was-sagt-die-Rechtssprechung
unseres Studiums fast poetisch anmuten und doch hatten wir fünf Studierende ein
ganzes Semester Zeit Sie in aller Tiefe zu ergründen. Doch was hat uns diesen
Hauch von echter Wissenschaft ermöglicht?
Die Teilnahme am renommierten Phillip C. Jessup Moot Court.
Wir sollten, trotz ihrer internationalen Ausrichtung, das erste Team in der
Geschichte der Universität Hamburg in diesem Wettbewerb werden.
Der seit 1959 stattfindende, englischsprachige Völkerrechts-Wettbewerb ist der weltweit größte und älteste Moot Court, mit mehr als 600 teilnehmenden Universitäten aus fast allen Ländern der Welt. Gruppiert in Regionen treffen sich nach Vorentscheiden jedes Jahr fast 140 Teams in Washington D.C. zum finalen Turnier. Veranstaltet wird der Wettbewerb durch die International Law Students Association (ILSA) zu Ehren Philip C. Jessups (* 5. Januar 1897 in New York City; † 31. Januar 1986 ebenda), einem amerikanischen Diplomaten, Professor, Symbol des Widerstandes in der McCarthy-Ära und nicht zuletzt Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH), der durch bahnbrechende Urteile das heutige Verständnis vom Völkerrecht und insbesondere des Menschenrechtsschutz geprägt hat. Dies ist einer der Gründe, warum sich neben vielen anderen „Stars“ des Völkerrechts als Richtende (Judges) seit vielen Jahren amtierende Richterinnen und Richter des IGHs zur Verfügung stellen.
Aufgrund seines Renommees stellen
die Universitäten hohe Anforderungen an ihre Teams und unterstützen sie oft bis
zur Grenze des Erlaubten. In den spitzen Teams sind bis zu zwei Doktorranden
Vollzeit angestellt um zusammen mit Englisch-, Rhetorik-, und Assistant-Coaches
das Team vorzubereiten, es zu betreuen und ihm zu Helfen. Leicht kann daher der
Wettbewerbsetat mehre zehntausend Euro betragen. Es soll sogar schon
vorgekommen sein, dass Professoren die Schriftsätze ihrer Teams geschrieben
haben.

Die Bezeichnung Moot Court
kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie “Gericht für fiktive Streitfälle”.
Besonders verbreitet im Anglo-amerikanischen Raum, erfreut sich diese Idee
immer größerer Beliebtheit und es gibt eine wachsende Zahl von Moot Courts für
alle juristischen Felder. In einem solchen wird Studierenden ein fiktiver oder
realer Fall zugeteilt, in dem sie eine der Parteien vertreten müssen. Beim
Jessup ist dies ein jährlich neu entwickelter, komplexer Fall für ein Verfahren
vor dem IGH zwischen zwei Staaten. Dieses Jahr stritten der durch den
Klimawandel untergegangene Insel-Staat Alfurna und die Industrie-Nation Rutasia
auf Grundlage eines 23-Seitigen Sachverhalts. Dabei standen theoretische Fragen
zur Staatsqualität des Staats-ohne-Staatsgebiet (gibt es Obdachlose Staaten?
Können diese Territorium mieten und gibt es internationalen „Mieter-Schutz“?),
zum Flüchtlings-Status von Klima-Flüchtlingen, deren Behandlung und geplanten
Abschiebung (erschreckend: nach herrschender Meinung haben sie keinen
Flüchtlingsstatus) und last-but-not-least die Sittenwidrigkeit von
„Entwicklungshilfe“-Krediten und Entschädigungsansprüchen im Klima-Wandel im
Vordergrund. Ein Rundum-schlag um das Thema Klimawandel und Inselstaaten also,
bei dem unsere Professoren fast so Schulter-zuckend dastanden wie wir zu
Anfangs.
Da jede Universität aus
Gründen der Fairness beide Seiten des Verfahrens vertreten muss teilten wir uns
innerhalb unseres Teams auf. Mir fiel die dankbare Aufgabe zu Alfurna in erster
und zweiter Frage zu vertreten. In der ersten Phase des Wettbewerbs verfassten
wir für beide Seiten einen umfassenden Schriftsatz in denen wir die Position
unserer Mandanten best-möglichst zu verteidigen suchten. Von Oktober bis Januar
stellten wir uns dieser Aufgabe, welche sich als bisher -und vielleicht auch
zukünftig- schwerste unseres Studiums erweisen sollte. In ihrem Verlauf schwoll
unser Dokument zeitweise auf weit über 200 Seiten an – und in einer eher
un-schönen Erfahrung unser Team leider von fünf auf vier ab. Als wir am 15.01.12 unsere Schriftsätze
abschickten, nun im strengen Rahmen der Vorgaben, waren 29 Seiten Inhalts- und
Literaturverzeichnis und 43 Seiten Text geblieben, viele Ideen und noch mehr
Seiten gelöscht und unsere Stimmung auf ihrem Tiefpunkt angekommen.

Am Ende eines Moot
Courts gewinnt das Team, welches seine Argumente im Verlauf des schriftlichen
Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht am überzeugendsten präsentiert. Der Jessup
zeichnet sich durch ein besonders differenziertes Bewertungssystem und
hochrangige Judges aus: So war bei den Vorentscheiden in Deutschland dieses
Jahr jeweils ein IGH Richter a.D., BVerfG Richter und Vertreter des Auswärtigen
Amts und zwei EuGH Richter vertreten, womit das Verfahren der Realität sehr
nahe kommt.
Als wir am 13.02.12, in Heidelberg
zum deutschen Vorentscheid antraten, hatten wir als „erstlings“ Team daher
keine großen Hoffnungen: Es waren dieses Jahr Teams von 21 juristischen
Fakultäten vertreten, soviele wie noch nie in Deutschland, von denen manche
eine 20 jährige Jessup-Tradition und daher Infrastruktur mitbrachten. Nur 3
würden weiter kommen um Anfang April in Washington mit dabei zu sein.
Nach einem feierlichen Empfang
wurden die Schriftsätze ausgehändigt und die anonymisierten Teamnummern unserer
Gegenparteien bekannt gegeben. Mit eigens mitgebrachtem Drucker und den
Dokumenten saßen wir bis tief in die Nacht in unserem Hotelzimmer, passten
unsere „Pleadings“ an die Schriftsätze an, recherchierten und diskutierten die
neusten Argumente. Interessant dabei war, das trotz der vielseitigen
Möglichkeiten und strengen Kontaktsperre zwischen den Vielzähligen Teams
schlussendlich die Lösungen sehr ähnlich ausgefallen war.
Im Laufe der zwei Tage mit jeweils
zwei Verfahren stiegen unsere Hoffnungen jedoch beträchtlich und am Ende saßen
wir doch alle sehr gespannt beim großen „Announcement-Dinner“ im Molkenkur
Hotel über Heidelberg. Diese Spannung ließ uns auch ohne Probleme das Ende der
Reden, Ansprachen und einem Vortrag des EGMR Präsidenten, Dean Spielmann
verkraften. Bekannt gegeben wurden empathischer weise nur die ersten 10 Teams
und die besten 50 der insgesamt 88 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Mit einer Mischung aus Glück und
doch-ein-bisschen-Enttäuschung erfuhren wir, das wir es als einziges der vier
„erstlings“ Team mit Platz 10 gerade so auf die Rangliste und es alle von uns
unter die besten 50 geschafft hatten. Voll konnten wir uns darüber Freuen, dass
ich es auf immerhin Platz 7 aller Rednerinnen und Redner geschafft hatte.
Alles in allem hat der Jessup meine
Begeisterung für das Völkerrecht weiter gestärkt, und die Stimmung bei besagtem
Dinner war genau von dieser Begeisterung geprägt, welche zweit-Semester und
„große Namen“ des Völkerrechts auf Augenhöhe intensiv das Schicksal Alfurna´s
und Rutasia´s, der Souveränität von Staaten und den Klimawandel diskutieren
ließ.
Eine Begeisterung für ihr Fach, die Antrieb eines jeden Studiums sein sollte
und dessen Weckens Aufgabe einer Universität ist. Eine Gelegenheit wie der
Jessup ist daher voll zu empfehlen und allen zu wünschen.
Das
Team in Heidelberg war 2013: Anna-Sophia Tiedeke, Janwillem van de Loo, Karen
Hensgen und Maximilian Waßmuth. Als Coaches standen uns Anne Diehnelt, mit
langjähriger Jessup Erfahrung, und Giannina-Louisa Wille immer engagiert und
immer in ihrer Freizeit zur Seite. Als Helfern ist zu Danken: Prof. Dr. Oeter,
Prof Dr. Jeßberger, Prof. Dr. Hufeld, Dr. Clemens Richter, Pauline Mattern, Sabine
Bernot, Sebasitan Thopesch, Julian Udich, Stine von Förster, Christoph Greggersen, Lisbeth Biskop,
Karolina Gajewski, Daria Maca-Daase und Ann-Kristin Becker.
Der
größte Dank gilt Herr Prof. Dr. Kotzur, der auf Maximilian Waßmuths Initiative
hin, aber auch aus eigenem Wunsch als langjähriger Jessup-Judge nun ein eigenes
Team zu entsenden, unsere Teilnahme überhaupt erst ermöglicht - und uns immer weit über das zu erwartende
unterstützt, motiviert und begleitet hat.
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