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Dienstag, März 12, 2013


Jessup und das Völkerrecht von Morgen
 
(Dieser kleine Bericht zur Teilnahme am Jessup Mootcourt 2012/2013 von mir ist in den Hamburger Rechtsnotizen (HRN) 02/2013, S. VI. erschienen)
Was passiert eigentlich wenn ein Inselstaat untergeht? Wie sieht es mit umstrittenen Entwicklungshilfe Krediten und Haftungsansprüchen im Klimawandel aus und kann er als „Verfolgung“ einen Flüchtlingsstatus begründen? Alles Fragen die im stumpfen Definition-Subsumtion-Was-sagt-die-Rechtssprechung unseres Studiums fast poetisch anmuten und doch hatten wir fünf Studierende ein ganzes Semester Zeit Sie in aller Tiefe zu ergründen. Doch was hat uns diesen Hauch von echter Wissenschaft ermöglicht?
 Die Teilnahme am renommierten Phillip C. Jessup Moot Court. Wir sollten, trotz ihrer internationalen Ausrichtung, das erste Team in der Geschichte der Universität Hamburg in diesem Wettbewerb werden.

 
Der seit 1959 stattfindende, englischsprachige Völkerrechts-Wettbewerb ist der weltweit größte und älteste Moot Court, mit mehr als 600 teilnehmenden Universitäten aus fast allen Ländern der Welt. Gruppiert in Regionen treffen sich nach Vorentscheiden jedes Jahr fast 140 Teams in Washington D.C. zum finalen Turnier. Veranstaltet wird der Wettbewerb durch die International Law Students Association (ILSA) zu Ehren Philip C. Jessups (* 5. Januar 1897 in New York City; † 31. Januar 1986 ebenda), einem amerikanischen Diplomaten, Professor, Symbol des Widerstandes in der McCarthy-Ära und nicht zuletzt Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH), der durch bahnbrechende Urteile das heutige Verständnis vom Völkerrecht und insbesondere des Menschenrechtsschutz geprägt hat. Dies ist einer der Gründe, warum sich neben vielen anderen „Stars“ des Völkerrechts als Richtende (Judges) seit vielen Jahren amtierende Richterinnen und Richter des IGHs zur Verfügung stellen.
Aufgrund seines Renommees stellen die Universitäten hohe Anforderungen an ihre Teams und unterstützen sie oft bis zur Grenze des Erlaubten. In den spitzen Teams sind bis zu zwei Doktorranden Vollzeit angestellt um zusammen mit Englisch-, Rhetorik-, und Assistant-Coaches das Team vorzubereiten, es zu betreuen und ihm zu Helfen. Leicht kann daher der Wettbewerbsetat mehre zehntausend Euro betragen. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass Professoren die Schriftsätze ihrer Teams geschrieben haben.

 
Textfeld: 1 Das Hamburger Team im Oktober. Von Rechts: Giannina-Louisa Wille (Coach), Anna-Sophia Tiedeke, Maximilian Waßmuth, Janwillem van de Loo,  Maria Boerner, Karen Hensgen und Anne Diehnelt (Coach).Soweit ist es bei uns zum Glück nicht gekommen, obwohl auch wir die dankbare Erfahrung gemacht haben von vielen am Institut für Internationale Angelegenheiten und insbesondere dem verantwortlichen Lehrstuhl von Prof. Dr. Kotzur und unseren beiden freiwilligen Coaches aufs äußerste unterstützt zu werden.
Die Bezeichnung Moot Court kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie “Gericht für fiktive Streitfälle”. Besonders verbreitet im Anglo-amerikanischen Raum, erfreut sich diese Idee immer größerer Beliebtheit und es gibt eine wachsende Zahl von Moot Courts für alle juristischen Felder. In einem solchen wird Studierenden ein fiktiver oder realer Fall zugeteilt, in dem sie eine der Parteien vertreten müssen. Beim Jessup ist dies ein jährlich neu entwickelter, komplexer Fall für ein Verfahren vor dem IGH zwischen zwei Staaten. Dieses Jahr stritten der durch den Klimawandel untergegangene Insel-Staat Alfurna und die Industrie-Nation Rutasia auf Grundlage eines 23-Seitigen Sachverhalts. Dabei standen theoretische Fragen zur Staatsqualität des Staats-ohne-Staatsgebiet (gibt es Obdachlose Staaten? Können diese Territorium mieten und gibt es internationalen „Mieter-Schutz“?), zum Flüchtlings-Status von Klima-Flüchtlingen, deren Behandlung und geplanten Abschiebung (erschreckend: nach herrschender Meinung haben sie keinen Flüchtlingsstatus) und last-but-not-least die Sittenwidrigkeit von „Entwicklungshilfe“-Krediten und Entschädigungsansprüchen im Klima-Wandel im Vordergrund. Ein Rundum-schlag um das Thema Klimawandel und Inselstaaten also, bei dem unsere Professoren fast so Schulter-zuckend dastanden wie wir zu Anfangs.
Da jede Universität aus Gründen der Fairness beide Seiten des Verfahrens vertreten muss teilten wir uns innerhalb unseres Teams auf. Mir fiel die dankbare Aufgabe zu Alfurna in erster und zweiter Frage zu vertreten. In der ersten Phase des Wettbewerbs verfassten wir für beide Seiten einen umfassenden Schriftsatz in denen wir die Position unserer Mandanten best-möglichst zu verteidigen suchten. Von Oktober bis Januar stellten wir uns dieser Aufgabe, welche sich als bisher -und vielleicht auch zukünftig- schwerste unseres Studiums erweisen sollte. In ihrem Verlauf schwoll unser Dokument zeitweise auf weit über 200 Seiten an – und in einer eher un-schönen Erfahrung unser Team leider von fünf auf vier ab.  Als wir am 15.01.12 unsere Schriftsätze abschickten, nun im strengen Rahmen der Vorgaben, waren 29 Seiten Inhalts- und Literaturverzeichnis und 43 Seiten Text geblieben, viele Ideen und noch mehr Seiten gelöscht und unsere Stimmung auf ihrem Tiefpunkt angekommen.
Textfeld: 2 Das Finale in der alten Aula der Universität HeidelbergDoch die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages: Die darauf folgende Phase des Übens des Verfahrens, des pro Seite 45-Minütigen Plädoyers („Pleadings“), bereitete uns trotz seiner Intensität (2x 2-4 Std. täglich) große Freude. Endlich sein Wissen argumentativ verpackt los zu werden, sich den ständig unterbrechenden Fragen der Judges zu stellen und trotzdem den Faden nicht zu verlieren und in der Zeit zu bleiben wurde uns Herausforderung und Spiel zugleich. Neben vielen Proben vor durchweg hilfsbereiten und motivierenden Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, traten wir insgesamt 4 mal vor Hamburger Großkanzleien „auf“. In einem Moot Court wie dem Jessup wird den Studierenden die im Jura-Studiumsverlauf bisher einzige Möglichkeit geboten, ihr theoretisches Wissen praxisnah anzuwenden. Neben der intensiven Auseinandersetzung mit einem bestimmten Rechtsgebiet steht auch das Üben von Teamwork und Rhetorik im Vordergrund – auch in diesen Punkten absurder weise die einzige Gelegenheit hierfür im Jura-Studiumsverlauf. Viele Gründe also warum uns gerade diese Phase so gut gefiel. Im Falle der Teilnahme an einem fremdsprachigen Moot Court, wie dem Jessup mit Englisch, vertieft man darüber hinaus fachspezifisch seine jeweiligen Sprachkenntnisse in Schrift und Sprachen enorm.
Am Ende eines Moot Courts gewinnt das Team, welches seine Argumente im Verlauf des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht  am überzeugendsten präsentiert. Der Jessup zeichnet sich durch ein besonders differenziertes Bewertungssystem und hochrangige Judges aus: So war bei den Vorentscheiden in Deutschland dieses Jahr jeweils ein IGH Richter a.D., BVerfG Richter und Vertreter des Auswärtigen Amts und zwei EuGH Richter vertreten, womit das Verfahren der Realität sehr nahe kommt.
Als wir am 13.02.12, in Heidelberg zum deutschen Vorentscheid antraten, hatten wir als „erstlings“ Team daher keine großen Hoffnungen: Es waren dieses Jahr Teams von 21 juristischen Fakultäten vertreten, soviele wie noch nie in Deutschland, von denen manche eine 20 jährige Jessup-Tradition und daher Infrastruktur mitbrachten. Nur 3 würden weiter kommen um Anfang April in Washington mit dabei zu sein.
Nach einem feierlichen Empfang wurden die Schriftsätze ausgehändigt und die anonymisierten Teamnummern unserer Gegenparteien bekannt gegeben. Mit eigens mitgebrachtem Drucker und den Dokumenten saßen wir bis tief in die Nacht in unserem Hotelzimmer, passten unsere „Pleadings“ an die Schriftsätze an, recherchierten und diskutierten die neusten Argumente. Interessant dabei war, das trotz der vielseitigen Möglichkeiten und strengen Kontaktsperre zwischen den Vielzähligen Teams schlussendlich die Lösungen sehr ähnlich ausgefallen war.
Im Laufe der zwei Tage mit jeweils zwei Verfahren stiegen unsere Hoffnungen jedoch beträchtlich und am Ende saßen wir doch alle sehr gespannt beim großen „Announcement-Dinner“ im Molkenkur Hotel über Heidelberg. Diese Spannung ließ uns auch ohne Probleme das Ende der Reden, Ansprachen und einem Vortrag des EGMR Präsidenten, Dean Spielmann verkraften. Bekannt gegeben wurden empathischer weise nur die ersten 10 Teams und die besten 50 der insgesamt 88 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Mit einer Mischung aus Glück und doch-ein-bisschen-Enttäuschung erfuhren wir, das wir es als einziges der vier „erstlings“ Team mit Platz 10 gerade so auf die Rangliste und es alle von uns unter die besten 50 geschafft hatten. Voll konnten wir uns darüber Freuen, dass ich es auf immerhin Platz 7 aller Rednerinnen und Redner geschafft hatte.
Alles in allem hat der Jessup meine Begeisterung für das Völkerrecht weiter gestärkt, und die Stimmung bei besagtem Dinner war genau von dieser Begeisterung geprägt, welche zweit-Semester und „große Namen“ des Völkerrechts auf Augenhöhe intensiv das Schicksal Alfurna´s und Rutasia´s, der Souveränität von Staaten und den Klimawandel diskutieren ließ. Eine Begeisterung für ihr Fach, die Antrieb eines jeden Studiums sein sollte und dessen Weckens Aufgabe einer Universität ist. Eine Gelegenheit wie der Jessup ist daher voll zu empfehlen und allen zu wünschen.

Das Team in Heidelberg war 2013: Anna-Sophia Tiedeke, Janwillem van de Loo, Karen Hensgen und Maximilian Waßmuth. Als Coaches standen uns Anne Diehnelt, mit langjähriger Jessup Erfahrung, und Giannina-Louisa Wille immer engagiert und immer in ihrer Freizeit zur Seite. Als Helfern ist zu Danken: Prof. Dr. Oeter, Prof Dr. Jeßberger, Prof. Dr. Hufeld, Dr. Clemens Richter, Pauline Mattern, Sabine Bernot, Sebasitan Thopesch, Julian Udich, Stine von Förster,  Christoph Greggersen, Lisbeth Biskop, Karolina Gajewski, Daria Maca-Daase und Ann-Kristin Becker.
Der größte Dank gilt Herr Prof. Dr. Kotzur, der auf Maximilian Waßmuths Initiative hin, aber auch aus eigenem Wunsch als langjähriger Jessup-Judge nun ein eigenes Team zu entsenden, unsere Teilnahme überhaupt erst ermöglicht -  und uns immer weit über das zu erwartende unterstützt, motiviert und begleitet hat.